Ein Beitrag von Dr. Richard Steinacher, Facharzt für Innere Medizin an der "Paracelsus Medizinische Universität" zu Salzburg. Bitte beachten Sie unbedingt auch die Anmerkungen am Ende dieses Beitrages!
Wissenswertes zur Gerinnungshemmung - Eine kurze Übersicht
von Dr. Richard Steinacher, Facharzt für Innere Medizin, Additivfach Kardiologie
>>> Die Blutgerinnung
Die Blutgerinnung ist die lebensnotwendige Fähigkeit des Blutes, im Falle einer Verletzung die Blutung durch Bildung eines Gerinnsels zu stoppen. Blutgerinnung bedarf besonderer Eiweißbestandteile im Blut, den „Gerinnungsfaktoren“ und auch den sogenannten „Blutplättchen“, winzigen Blutkörperchen. Gerinnungsfaktoren und Blutplättchen wirken zusammen bei der Entstehung der festen Blutgerinnsel. Fehlt einer der beiden Teile, können Blutungen auch spontan auftreten.
Wieso werden Gerinnungshemmungstherapien durchgeführt?
Krankhafte Blutgerinnselbildung und Zustände, welche ein Risiko für Blutgerinnsel bergen, sind die häufigsten Gründe für die Verordnung von „oralen Antikoagulantien“ (Medikamente, welche die Gerinnungsfaktoren hemmen) und auch von sogenannten „Blutplättchenhemmern“.
Gründe für die Verordnung von „oralen Antikoagulantien“ (Hemmer der Gerinnungsfaktoren):
- Vorhofflimmern (Herzrhythmusstörung)
- Venenthrombosen (Blutgerinnsel z.B. in den Beinvenen)
- Lungenembolien (Blutgerinnselverschleppung in die Lungenvenen)
- Arterielle Thrombosen (Blutgerinnsel in den Schlagadern)
- Einbau von künstlichen Herzklappen
- Einbau von Gefäßprothesen aus Kunststoff
Die häufigsten Gründe für die Verordnung von „Blutplättchenhemmern“ sind:
- Herzkranzgefäßerkrankung, Herzstent oder Herzbypass-Operation
- Herzinfarkt oder Schlaganfall
- Vorbeugende Verordnung bei hohem Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall
- Verschlusskrankheit der Schlagadern oder Halsschlagadern
Gefahren der Gerinnungshemmung
Durch die Hemmung von Gerinnungsfaktoren oder Blutplättchen steigt die Blutungsgefahr bei Verletzungen, Operationen und Erkrankungen (z.B. Hirnblutung). Bei der Verordnung dieser Therapien muss daher eine sorgfältige Risiko-Nutzen Abwägung durch den Arzt erfolgen. Die Verordnungen dürfen in der Regel nicht selbst ohne Rücksprache verändert werden.
Hemmung der Gerinnungsfaktoren (orale Antikoagulation)
Orale Antikoagulation, lateinisch für Gerinnungshemmung, bezeichnet die Hemmung der Gerinnungsfaktoren mit Tabletten. Eine „Verdünnung des Blutes“, wie zum Beispiel eine Verdünnung eines Getränks durch sogenanntes „Aufspritzen“ tritt nicht ein. Somit ist der umgangssprachliche Begriff „Blutverdünnung“ eigentlich irreführend und sollte nicht verwendet werden. Die entsprechenden Medikamente, orale Antikoagulantien, teilen sich in sogenannte „Vitamin K Antagonisten“ (Marcoumar® oder Sintrom®) und „direkte orale Antikoagulantien“ (Pradaxa®, Xarelto®, Eliquis®, Lixiana®). Die Auswahl des optimalen Medikaments muss vom Arzt getroffen werden.
Durchführung der oralen Antikoagulation
Wird die Behandlung mit Marcoumar® oder Sintrom® durchgeführt, ist anfänglich eine Einstellungsphase von ca. 2 bis 3 Wochen erforderlich. In dieser Phase wird die Wirkung der Tabletten mit einer kleinen Blutprobe aus der Fingerbeere engmaschig kontrolliert. Es wird der sogenannte INR-Wert, welcher ein Maß der Gerinnungshemmung bei Marcoumar® oder Sintrom® darstellt, bestimmt. Die Dosis wird so angepasst, dass der individuell optimale „INR-Zielbereich“ erzielt wird. Bei guter Einstellung des INR genügt dann in der Regel eine Kontrolle etwa alle 4 Wochen. Im Gegensatz dazu erfordern „direkte orale Antikoagulantien“ (s.o) zu Beginn der Behandlung und auch während einer längeren Behandlung Überprüfungen der Nierenfunktion. Bei schlechter Nierenfunktion muss die Dosis reduziert oder gar auf Marcoumar® oder Sintrom® umgestellt werden.
Besonderheiten von Marcoumar® oder Sintrom®
Diese Medikamente erfordern eine genaue Buchhaltung. Die einzunehmende Tagesdosis wird im „INR Ausweis“ vorgeschrieben und auch die INR Messwerte werden darin dokumentiert. Bei gleichmäßiger, ausgewogener Ernährung müssen wegen des Essens keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden. Bei Wechsel der Ernährungsgewohnheiten wie Durchführung von Diäten, Durchfall oder Erbrechen muss der INR engmaschiger kontrolliert werden. Häufigere Kontrollen sind auch sinnvoll bei sonstigen akuten Erkrankungen und bei Wechsel von Medikamenten (z. B. Antibiotika). Jegliche Änderung von Medikamenten, auch von deren Dosierung, sollte mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden. Zahlreiche Medikamente beeinflussen die Wirkung von Marcoumar® oder Sintrom® und können eine zusätzliche Blutungsgefahr hervorrufen. Frauen im gebärfähigen Alter müssen eine sichere Verhütung durchführen. Ein evt. Kinderwunsch muss mit dem behandelnden Internisten und dem Frauenarzt besprochen werden.
Eine zusätzlich Besonderheit von Marcoumar® oder Sintrom® stellt die Möglichkeit des
„INR Selbstmanagements“
dar. Hierbei lernen Patienten strukturiert, den INR Wert selbst zu bestimmen und sich selbstständig mit diesen Medikamenten nach genauen Regeln einzustellen. Nähere Informationen dazu finden Sie im Internet unter http://www.oeasa.at oder über die
Patienten Selbsthilfegruppe www.inr-austria.at sowie über Ihre zuständige Krankenkasse.
Blutplättchenhemmer
Die wichtigsten Hemmer der Blutplättchen sind Aspirin® (auch Herz ASS®, Thrombo ASS®) Clopidogrel (auch Plavix®), Efient® und Brilique®. Nach Herzinfarkt und auch bei Herzstents werden in der Regel vorübergehend Kombinationen aus Aspirin® und einem weiterem Blutplättchenhemmer eingesetzt. Diese „doppelte Blutplättchenhemmung“ soll z.B. Verschlüsse der Stents an den Herzkranzgefäßen verhindern, bis diese gut eingewachsen sind. In der Langzeitbehandlung wird dann oft Aspirin® (auch Herz ASS®, Thrombo ASS®) als alleinige Substanz angewandt. Auch diese Medikamente müssen genau nach Vorschrift eingenommen werden und sollen keinesfalls ohne ärztliche Konsultation begonnen oder abgesetzt werden.
Blutplättchenhemmer und orale Antikoagulation
Werden orale Antikoagulantien und Blutplättchenhemmer gemeinsam eingenommen, kommt es zu einer deutlichen Steigerung des Blutungsrisikos. Solche Kombinationen werden in der Regel nur vorübergehend und in dringenden Fällen verordnet. Viele Schmerzmittel, wie zum Beispiel Diclofenac hemmen ebenfalls Blutplättchen und erhöhen das Blutungsrisiko! Bei Einnahme von Antikoagulantien muss daher jede Schmerztherapie mit dem Hausarzt abgestimmt werden. <<<
Anmerkung zu diesem Beitrag: Herr Dr. Steinacher betont, daß bei "...guter Einstellung..." des INR- Wertes in der Regel eine Kontrolle alle 4 Wochen als ausreichend angesehen werden kann. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß dies nach unserer Ansicht jedoch lediglich für diejenigen Kontrollen gilt, die bei einem niedergelassenen Arzt bzw. in einem Labor durchgeführt werden. Bei der Durchführung des Patienten- Selbst- Managements (PSM) wird von uns dringend empfohlen, die Kontrolle des INR- Wertes und die Angleichung der Medikamenten- Dosen mindestens einmal wöchentlich durchzuführen!